Mathias Feldges, ein profilierter Sozialpolitiker
Zum ersten Mal bin ich Mathis Feldges an der Basler Uni begegnet. Um ihn kam man nicht herum, wenn man Germanistik studierte; Mittelhochdeutsch war obligatorisch. Und so haben wir uns mit Oswald von Wolkenstein beschäftigten, einem Mann, von dem man wenig wusste, in einer Sprache, die wir kaum verstanden. Und doch haben wir viel gelernt: Texte vergleichen, Quellen suchen, Interpretieren, Recherchieren – kurz: Forschen. Davon hat uns Mathis Feldges einen ersten, wichtigen Eindruck vermittelt.
Aber wir haben schliesslich nicht Germanistik studiert, wegen der mittelalterlichen Minnesänger, sondern wegen dem Beitrag der Literatur zur Revolution. Wir lasen das Kapital von Marx, waren überhaupt revolutionär unterwegs und standen kurz davor, die Welt neu zu erfinden. Mathis hat derweil den Assistenten-Verband an der Uni gegründet und damit ein wichtiges Mittel geschaffen für mehr Rechte dieser untersten und gleichzeitig grössten Gruppe des Lehrkörpers.
Knapp 10 Jahre später war Mathis Vorsteher des Wirtschafts- und Sozialdepartements und ich Gewerkschaftssekretärin beim VPOD. Wir hatten beide die Rollen gewechselt. Ich hatte viele Kontakte mit den Leuten aus seinem Departement: Den Rheinschiffern von der Signalstation, den Männern der BVB, den Arbeitern der Messe, dort hatten wir sogar einen GAV, den Leuten vom Arbeitsamt, Staatsarchiv, Ausgleichskasse, Statistisches Amt, dem Amt für Sozialbeiträge, der UVK und natürlich der OeKK. Aber im WSD sind noch viel mehr Themen zusammengekommen: Landwirtschaft, Flughafen, Medien, Wohnungspolitik, Regio, Basler Personenschifffahrt, Wirtschaftspolitik, Oberrheinkonferenz und, und, und – ein wirklich vielfältiges Departement. Mathis hatte für gewerkschaftliche Anliegen immer ein offenes Ohr und für mich einen guten Tipp. Die Reallohnerhöhung für das Staatspersonal, die 1987 nach einem heftigen Abstimmungskampf angenommen worden ist, hat Mathis von Anfang an begleitet und geholfen in der Diskussion um die richtige Lohnkurve. Auf Mathis konnten wir im VPOD immer zählen, er ist auch oft an unsere Versammlungen gekommen und hat dort Red und Antwort gestanden.
1988 wurde ich in den Grossen Rat gewählt und unsere Zusammenarbeit wurde noch enger. Mathis hat die OeKK gerettet – natürlich nicht allein, aber er hat letztlich politisch durchgesetzt, dass die OeKK nicht verkauft wurde. Die PdA-Initiative zur Rettung der OeKK wurde angenommen und Mathis hat dafür gesorgt, dass ihre Ziele auch vollständig im Gesetz festgehalten wurden. D.h. obligatorische Versicherung im Kanton, gleiche Prämie für Mann und Frau und ein Risikoausgleich zwischen den Kassen. Das war damals wirklich revolutionär. Parallel dazu sorgte Mathis für den Ausbau der Prämienverbilligung und der Beihilfen für EL-Bezüger. Er hat, ohne grosses Aufsehen, das Soziale Basel ausgebaut, Stück für Stück und nachhaltig.
Das war ein wichtiges Wesensmerkmal von Mathis: Er hat immer der Sache gedient, sich nie in den Vordergrund gestellt. Es hat ihn auch nicht gestört, wenn er als unbeweglich, altmodisch, akademisch, nicht sozialistisch genug betitelt worden ist – zumindest hat man es ihm nicht angemerkt. Mathis ist seiner Überzeugung gefolgt, ist für die Schwächeren eingestanden, hat hartnäckig gute Sozialpolitik – und auch gute Wirtschaftspolitik gemacht. Mit seiner Art, dem Understatement oder unter dem Radar bleiben, hat er so manches «Buebestüggli» geschafft und sich schelmisch darüber gefreut.
Vier Jahre später wurde ich Regierungsrätin. Mathis hat mich sehr unterstützt, mir geholfen und mich manchmal auch getröstet. Es war seine dritte Amtszeit und er hatte schon so manches erlebt im Regierungsgremium. Sein Motto hiess: «Reculer pour mieux sauter». Warte, versuch’s später nochmals, vielleicht etwas anders, aber es kommt schon gut. Geduld und Taktik, Rückzug und Zupacken im rechten Moment – diese Disziplin hat er meisterlich beherrscht und damit viel erreicht.
Aber nicht nur politisch hat mir Mathis neue Erkenntnisse ermöglicht. Auch seine Gastfreundschaft und seine Liebe zu Italien bleiben unvergessen. Wir haben damals einmal im Jahr, am «Bündelitag-Wochenende», ein Regierungsreisli gemacht, organisiert vom jeweiligen Präsidenten, bezahlt von jedem selbst. Im Präsidialjahr von Mathis gingen wir nach Artimino, wo es nicht nur eine wirklich sehenswerte Medici-Villa gibt, sondern auch das Restaurant Delfina und wo ich lernte, dass Feigen und Rohschinken wunderbar zusammenpassen.
Im letzten Jahr seiner Amtszeit offerierte Mathis, noch einmal das Reisli zu organisieren. Es ging nach Positano, wo Uta und Mathis ein Haus hatten. Die Amalfiküste samt Capri zu besuchen mit zwei «Reiseführern», die uns an ihrer Begeisterung Anteil nehmen liessen, das ist unvergesslich.
Nach seinem Rücktritt blieb Mathis natürlich interessiert an der lokalen und vor allem der weltweiten Politik, genoss weiterhin gutes Essen, spannende Reisen, Musik von Jazz bis Klassik – aber er nahm sich auch wieder Zeit für seine alte Leidenschaft: die Forschung, zum Beispiel über das Magdalenen Evangelium. Und natürlich immer wieder zum Belchen-Dreieck, das den Kelten als Jahres-Kalender gedient hat.
Mit Mathis Feldges verliert Basel einen profilierten Sozialpolitiker, der keine typischen Politiker-Eigenschaften gehabt hat: Mathis war kein brillanter Redner, er hat nicht einmal Baseldeutsch geredet, war kein guter Verkäufer, er hat sich nie inszeniert. Er hat gemacht, mit Witz, Humor, Schlauheit und Ausdauer und vor allem mit Integrität und Anstand. Das hat ihm viele Freunde beschert und das macht, dass heute so viele einen guten Freund verloren haben.
Lieber Mathis, ich wünsche Dir, dass Du jetzt dort bist, wo Du den Sonnenaufgang über allen drei Belchen gleichzeitig sehen kannst. Das muss schön sein.
Veronica Schaller, ehem. Regierungsrätin der SP Basel-Stadt
Ihre Rede hat sie an der Trauerfeier vom 28. September 2022 im Volkshaus Basel präsentiert und der SP Basel-Stadt zur Verfügung gestellt.
Ein Politiker mit Herz und Verstand
Die Sozialdemokratische Partei trauert und mit ihr unser Gemeinwesen. Beiden hat Mathis Feldges lange gedient, beide sind ihm zu grossem Dank verpflichtet.
Viele haben Mathis noch als SP-Parteipräsidenten erlebt, erinnern sich noch an die schwierige, mühsame Zeit vor der Spaltung. Sein Hauptanliegen war es immer, alle Seiten zu Wort und zu ihrem Recht kommen zu lassen. Nicht alle haben ihm seine Kompromissbereitschaft, seine Toleranz und Anständigkeit verdankt. Mathis Feldges hat die Demokratisierung der Partei, von seinem Vorgänger Carl Miiville begonnen, konsequent weiterentwickelt. Bereits 1976 als Präsident der Wahlplattformkommission hat er dafür gesorgt, dass Politik nicht zu einem Anliegen einiger Spezialisten wurde, sondern dass sie „von möglichst vielen demokratisch und sozialistisch denkenden Bürgerinnen und Bürgern“ mitgestaltet werden konnte. An der daraus resultierenden Broschüre über sozialdemokratische Gemeindepolitik arbeiteten denn auch gegen 170 Parteimitglieder aktiv mit. „Die demokratische Planung der Ziele unserer Partei“, das war sein oberster Grundsatz.
Als Präsident musste Mathis auch miterleben, wie sich einige Mandatäre immer weiter von der Partei entfernt und entfremdet haben. Daraus hat er die richtigen Konsequenzen gezogen und sich später als Regierungsrat zu Herzen genommen, was Willi Ritschard an die Adresse abgehobener SP-Würdenträger gemahnt hat: „Er mag noch so populär sein, noch so tüchtig in seinem Departement, er kann tausend Höflinge haben, die immer wieder ja sagen, zu allem was er tut; ohne Verankerung in der Partei (…) hängt jeder von uns in der Luft.“ Mathis besuchte jede Versammlung, wenn es der prall gefüllte Terminkalender zuliess, er nahm sich auch Zeit, in der Beiz mit den Genossinnen und Genossen noch ein Glas Wein zu trinken, um sich ihre Sorgen anzuhören.
Mathis Feldges ist als Regierungsrat (1984 – 1997) Vorsteher eines komplizierten und weitverzweigten Departements geworden, das uns Sozialdemokraten seit Gustav Wenks und Hans-Peter Tschudis Wirken besonders wichtig war. Von der OeKK zur Rheinschifffahrt, von der Ausgleichskasse zur BVB, von der Messe, der Medien- bis zur Wohnungspolitik reichten die Themen, die das Wirtschafts- und Sozialdepartement (WSD) zu behandeln hatte.
Manche hatten das Gefühl, dass die riesigen Erwartungen, die wir in die „neue Aera“ sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung gesetzt hatten, nur ungenügend erfüllt werden. Mathis Feldges war nicht der Mann des Rampenlichts, der schnellen Entscheide, der brillanten Auftritte. Jedes Problem, an das er heranging, durchleuchtete er von allen Seiten, wollte es bis ins Detail verstehen und vertreten können. Gründlichkeit in der Erarbeitung von Sachwissen und Zähigkeit in der politischen Auseinandersetzung sind Merkmale, deren Bedeutung häufig unterschätzt wird. Bis heute.
Was wir an Mathis bewunderten, war seine Menschlichkeit, die er sich trotz aller politischer Machenschaften und Widrigkeiten erhalten konnte. Wir vertrauten darauf, dass Mathias im Amt nicht nur überzeugter Sozialist blieb, sondern dass er alles in seiner Macht Stehende unternahm, um jedes Geschäft seines Departements, jedes Problem, das an ihn herangetragen wurde, im sozialdemokratischen Sinne zu lösen.
Mathis ist kein abgebrühter „Vollblut-Politiker“ geworden. Ihn verletzten Intrigen, falsche Beschuldigungen und manch interne hämische Bemerkung. Er konnte und wollte Beleidigungen nicht so einfach „ans Bein streichen“.
Er hat es auch verstanden, seinen alten Beruf zum Hobby zu machen, sein grosses Wissen in Geschichte, Kunst und Literatur in die Politik einzubringen. Die fehlende Sensibilität, auch in der SP, für Denkmalpflege und Heimatschutz hat ihn geärgert. Bis zuletzt hat er sich deshalb im Basler Heimatschutz engagiert.
Und vor allem: er pflegte und genoss seinen Freundeskreis. Mathis hatte auch nach seiner Zeit als Regierungsrat noch gute Freunde und Vertraute, eher mehr als weniger. Keine Selbstverständlichkeit in der Politik.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vermissen einen Genossen, den wir wegen seiner Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, aber auch wegen seiner Hartnäckigkeit in bester Erinnerung behalten werden. Und Basel verliert einen Bürger, der sich um seine Vaterstadt verdient gemacht hat.
Nachruf von Roland Stark, Nachfolger von Mathias Feldges als Parteipräsident der SP Basel-Stadt
erschienen in der BaZ vom 20. September 2022, der SP Basel-Stadt zur Verfügung gestellt